Dein Inneres Familienklima ist der Schlüssel zu Deiner Harmonie.
Eine Leidenschaft von mir besteht darin, mich immer wieder schlau zu machen über psychologische Therapieformen, die ich noch nicht kenne. Auch aus Eigennutz, da ich die Therapieansätze jeweils gerne an mir selbst ausprobiere. Vielleicht ein seltsames Hobby, aber wie andere sich gerne um ihre Pflanzen oder Haustiere kümmern, kümmere ich mich halt nun mal gerne um meine Seele. Auch die braucht ihren Dünger oder ihr Futter.
Der «Inner Family Systems»-Ansatz von Richard Schwartz (IFS)
Über ein Therapeutennetzwerk bin ich diesen Dezember auf die Therapiemethode der Inneren Familiensystemtherapie (Inner Family Systems Therapy IFS) des Amerikaners Richard Schwartz gestossen und möchte meine damit verbundene Begeisterung und meine Erkenntnisse gerne mit Dir teilen. Am meisten begeistert mich, dass ich bei dieser Therapieform Begrifflichkeiten und Konzepte gefunden habe, die benennen und integrieren, was ich bei meiner eigenen therapeutischen Tätigkeit schon intuitiv anzuwenden begonnen habe.
Der theoretische Hintergrund des IFS-Ansatzes ist ein systemischer: Es wird davon ausgegangen, dass die ganze Welt ein einziges System ist, dessen Teile alle miteinander verbunden sind und miteinander interagieren. Wir Menschen sind ein Untersystem innerhalb dieses grösseren Systems und bestehen wiederum aus Untersystemen. Im körperlichen Bereich beispielsweise aus unserem Nervensystem, dem Verdauungssystem, dem Hormonsystem etc. Und genauso besteht auch unser psychisches System aus unterschiedlichen Subsystemen. Im IFS-Ansatz spricht man dabei von Anteilen, sogenannten „Parts“. Das ist eigentlich nichts grundlegend Neues in der Psychologie, die meisten psychotherapeutischen Richtungen gehen davon aus, dass wir Menschen kein einheitliches Ich besitzen, sondern aus unterschiedlichen Ich-Anteilen zusammengesetzt sind (Motiven, Schemata, Ego-States etc.).
Vielleicht kennst Du das auch aus eigener Erfahrung: Wenn Du beispielsweise an einem freien Tag aufwachst und feststellst, dass ein Teil von Dir gerne noch etwas länger im Bett liegen bleiben würde, ein anderer Teil so schnell wie möglich raus an die frische Luft möchte und ein dritter findet, Du könntest Dich doch nun endlich um den unaufgeräumten Keller kümmern, wenn Du nun schon Zeit dafür hat. Vielleicht melden sich auch noch mehr Teile, dann kann es ganz schön unübersichtlich werden und die Tagesgestaltung wird entsprechend anspruchsvoll ausfallen.
Das besonders Interessante für mich am IFS-Ansatz ist, dass die Anteile in Kategorien eingeteilt werden, und zwar in drei. Das wirkt dann wiederum eigentlich doch recht übersichtlich. Und noch gröber kann man zwei der Kategorien auch noch in eine Überkategorie zusammenfassen.
Deine Inneren Familienmitglieder:
1. Die Beschützer.
Das ist die eben genannte Überkategorie. Darin gibt es die proaktiven Beschützer, die sogenannten „Manager*innen“ und die reaktiven Beschützer, die „Feuerlöscher*innen“.
1.1 Die Manager*innen
Die Inneren Manager*innen sind jene Anteile, die Deinen Alltag regeln und gestalten, wenn Du Dich im Autopilot*innenmodus befindest. Sie lieben Sicherheit und Kontrolle über alles. Schaffen Strukturen und Bedingungen, die für möglichst wenig Aufruhr in Deiner Innenwelt sorgen sollen. Und versuchen zu verhindern, dass es zu Konflikten mit der Aussenwelt kommt. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die in der Biografie verletzten oder traumatisierten Anteile zu beschützen, die sogenannten „Exiles“ oder Exilant*innen. Manager*innen sind häufig sehr ängstlich, überbehütend, gehen nicht gern Risiken ein und vermeiden gerne unangenehme Situationen und Menschen. Sie sind sehr schnell mit ihren Ratschlägen und beobachten Dich und Dein Verhalten genau und in der Regel eher kritisch. Innere Kritiker*innen, innere Antreiber*innen und Perfektionismus gehören zum Beispiel in diese Kategorie. Kennzeichnend für Innere Manager*innen ist zudem weiter, dass sie in den allermeisten Fällen in der Kindheit entstanden sind und dementsprechend kindlich wahrnehmen, denken, verarbeiten und handeln (z.B. in Form von Schwarz-Weiss-Denken, Katastrophisieren, Verallgemeinern, Dinge persönlich nehmen etc.). Manager*innen lassen sich in der Regel leicht beruhigen, wenn sie sich wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Bedanke Dich doch gleich bei Deinen Inneren Manager*innen, die täglich ihr Bestes geben, damit Du Deinen Alltag bewältigen kannst. Wenn sich etwas entspannen, sind sie meist offen dafür, über alternative, gesündere Alltagsbewältigungsstrategien zu reden.
1.2. Die Feuerlöscher*innen
Die Inneren Feuerlöscher*innen treten auf, wenn ein Exil-Anteil geweckt wird und ins Bewusstsein gelangen möchte. Aus Angst, dass das Bewusstsein mit diesen Exil-Anteilen nicht umgehen oder dass das System überwältigt werden könnte mit den Emotionen der Exilant*innen, sorgen die Feuerlöscher*innen für Ablenkung, indem sie Hungerattacken provozieren, Selbstverletzungs- oder Suizidgedanken oder -absichten aktivieren, Dich zum Serien Bingen bringen oder machen, dass Du Dich suchtartig in die Arbeit stürzt, ungebremst berauschende Substanzen konsumierst oder Dich mit unteschiedlichen Formen von ungesundem Sex in andere Erlebenssphären katapultierst. Allgemein sind Feuerlöscher*innen grosse Fans von Drama und berauschenden und betäubenden Verhaltensweisen und Substanzen, da diese die Exilant*innen sehr schnell und effizient wieder aus dem Bewusstsein verbannen. Auch sie stammen in der Regel aus der Kindheit und haben sich häufig ihre Feuerlöschstrategien anhand von Abgucken an Modellen (Bezugspersonen) angeeignet. Die Inneren Feuerlöscher*innen sind etwas schwieriger zu identifizieren als die Inneren Manager*innen, da sie Meister*innen des Versteckens und der Tarnung sind. Um ihnen auf die Schliche zu kommen, eignet sich die psychologische Schattenarbeit besonders gut.
2. Die Exilant*nnen
Diese Anteile haben irgendwann im Lauf Deines Lebens, meistens sehr früh in der Kindheit oder auch im Jugendalter im Kontakt mit wichtigen Bezugspersonen und Peers gelernt, dass sie nicht erwünscht sind, sei es durch direkte Formen von (körperlicher, sexueller oder emotionaler) Gewalt oder durch Vernachlässigung. In der Folge haben sie sich aus dem Bewusstsein zurückgezogen und ihre Entwicklung eingestellt. Sie hausen in dunklen Kammern oder Kellern im Unterbewusstsein, wo sie ihr von Verlassenheit und Einsamkeit geprägtes Schattendasein fristen. Kurzfristig war der Rückzug und die Abkapselung eine sinnvolle und lebenserhaltende Schutzstrategie. Langfristig führt das Verbannen von Anteilen zu einem Verlust von Lebensfreude, Spontaneität, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Kreativität, wahrhaftem Mitgefühl, einem Stagnieren der Persönlichkeitsentwicklung und des Persönlichkeitswachstums und färbt sich auch negativ auf die Beziehungen zu Mitmenschen ab.
Wie Du Deine Innere Familie ins Gleichgewicht bringst.
Viele Psychotherapieformen zielen darauf ab, die Exilant*nnen zu erkennen und von den „bösen“ Manager*innen und Feuerlöscher*innen zu befreien. Eine Gefahr besteht darin, dass sich diese durch diese Vorgehensweise übergangen und provoziert fühlen und in der Folge ihre Massnahmen verschärfen, was im ungünstigsten Fall zu einer erneuten Verletzung oder Retraumatisierung der Exilant*nnen führen kann, indem sie wiederum aus dem Bewusstsein verdrängt werden und wieder im dunklen Keller der Verlassenheit landen. Ein Unterschied beim IFS-Ansatz besteht darin, dass davon ausgegangen wird, dass jeder Anteil einen gesunden Kern besitzt und eine bessere Funktion im psychischen System einnehmen kann und auch will. Die Anteile werden wie reale Personen betrachtet und behandelt. Es wird nicht die Heilung einzelner Anteile, sondern des gesamten Systems angestrebt. Ein Manager, der damit beschäftigt war, eine Exilantin vom Licht des Bewusstseins fernzuhalten um diese zu beschützen, kann stattdessen beispielsweise neu dafür eingesetzt werden, die Exilantin dabei zu unterstützen, ihre Ideen in der Welt zu verwirklichen.
Der Psychotherapeut kann dafür auf zwei verschiedene Arten vorgehen. Bevor ich Dir diese vorstelle, möchte ich allerdings noch einen weiteren Akteur einführen, den wir bisher noch nicht in besprochen haben:
Das Selbst.
Rufe Dir bitte noch einmal das Beispiel von vorhin mit dem Tagesstart und den drei Anteilen in Erinnerung. Wenn Du in der Situation tatsächlich nur aus den drei Anteilen bestehen würdest, könntest Du ja einfach die drei machen lassen, was sie wollen, so dass jeder seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen könnte: Einer schläft weiter aus, die zweite geht an die frische Luft und der Dritte räumt den Keller auf. Eine absurde Vorstellung. Du merkst: etwas fehlt. Nämlich, die übergeordnete Instanz, die sich der drei Anteile bewusst ist und Dein psychisches System zusammenhält. Der IFS-Ansatz nennt diese Instanz das Selbst. Die Person oder das Wesen, das Du bist, wenn gerade kein Anteil am Steuer ist. Deine Innere Essenz sozusagen. Deine Innere Familie besteht aus einem Selbst und vielen ichs. Vielleicht erscheint es Dir als ganz selbstverständlich, dass Sie im Kern aus Ihrem Selbst bestehen. Vielleicht ist das aber auch etwas ganz Neues für Dich. Die IFS-Therapie geht davon aus, dass wir Menschen mit einem fixfertigen, intelligenten und kreativen Selbst auf die Welt kommen, das in der Lage ist, das Innere System zu organisieren. Mir gefällt dieser Gedanke, auch weil er der in vielen psychotherapeutischen Ansätzen vorherrschenden Vorstellung, es ginge in einer Therapie darum, etwas Neues zu entwickeln oder zu lernen (Ich-Funktionen, Selbstkontrolle, Erwachsenen-Ich), widerspricht. Vielmehr geht es in dieser Therapieform darum, das bereits vorhandene Selbst wieder ans Steuer des psychischen Systems zu stellen, da wo es hingehört. Damit Du nicht von Deinen Anteilen bestimmt wirst, sondern Selbst-geleitet Dein Leben gestalten kannst, genau so wie es für Dich passt.
Der Therapeut geht nun entweder so vor, dass er der Patientin hilft, sich ihrer Anteile bewusst zu werden, diese vom Selbst zu lösen („unblend“) und das Selbst mit den Anteilen in bewusste Verbindung zu bringen. Das kann schon helfen und ist der entscheidende Schritt, um die Anteile zu heilen und besser ins System einzubinden, da sie sich dadurch wahrgenommen, gesehen, gehört fühlen und sich entspannen können. Falls dies nicht möglich ist, was häufig bei Menschen der Fall ist, die nie gelernt haben, mit ihrem Selbst in Kontakt zu kommen, übernimmt der Therapeut eine stärkere Führungsfunktion und interagiert direkt mit den Anteilen des Patienten. Bietet sich und sein Selbst sozusagen als Modell an, damit der Patient erfahren kann, wie das geht. Um diesen schliesslich an den Punkt zu bringen, an dem er dem eigenen Selbst wieder vertrauen und es ans Steuer lassen kann.
Ich habe diesen Ansatz vor allem aus psychotherapeutischer Perspektive vorgestellt und beleuchtet. Er eignet sich aber zusätzlich dazu hervorragend für allgemeine Herausforderungen im Leben, beispielsweise wenn Veränderungen, Übergänge oder Entscheidungen anstehen. Alles läuft schliesslich leichter, wenn in der Inneren Familie Harmonie herrscht.
Und noch ganz zum Schluss: Wenn Du Dich gut um Dein eigenes Selbst und um Deine Innere Familie kümmerst, tust Du dies nicht nur aus Eigennutz, sondern Du leistest dadurch einen wertvollen Beitrag zum Wohlergehen der gesamten Menschheit. Der IFS-Ansatz geht nämlich davon aus, dass Menschen, die ihr Leben Selbst-geleitet und Selbst-bestimmt leben, nicht nur mitfühlender mit ihren eigenen inneren Anteilen umgehen, sondern auch mit anderen Menschen. Und Mitgefühl ist eine Qualität, die unsere Welt dringender nötig hat als alles andere.
Falls Du mehr über diesen Ansatz wissen oder ihn einmal selbst ausprobieren möchtest, melde Dich einfach bei mir.
Bis dahin:
Grüsse bitte Deine Innere Familie von mir!
Vielen Dank für Dein Interesse und willkommen bei Dir!
Herzlich,
Simon Gautschy